Wenn du mir vor fünf Jahren gesagt hättest, dass ich heute einen Artikel darüber schreiben würde warum wir prokrastinieren und wie wir damit aufhören können, wäre ich vor Lachen vom Stuhl gefallen.

Vor genau fünf Jahren war ich der Schüler, der nichts für die Schule gemacht hat. Ich war derjenige, der eine Projektarbeit in einer schlaflosen Nächt vorbereitet hat.

Aber tief im Inneren störte es mich. Das tat es wirklich. Ich schob so viel auf, dass ich, wenn es darum ging eine Klausur zu schreiben, den Stoff für den ich gelernt hatte mit Bravour meisterte, aber bei den Fragen zu den Kapiteln für die ich nicht genug Zeit hatte, durchfiel.

Warum habe ich mir das angetan?

Ich habe keine Ahnung. Vielleicht habe ich mich nicht genug angestrengt, um ein 1er Schüler zu sein. Vielleicht hatte ich nicht die besten Angewohnheiten — wem mache ich was vor? Ich hatte definitiv keine Selbstdisziplin oder gute Gewohnheiten.

Fünf Jahre später wache ich jeden Morgen auf, dehne mich, meditiere und setze mich dann auf meinen Stuhl und schreibe.

Ich habe das Gefühl, dass ich endlich gelernt habe, wie ich die Prokrastination besiege.

Prokrastiniere ich immer noch? Ja, natürlich! (Geständnis: Ich habe mit dem Schreiben dieses Artikels prokrastiniert).

Aber ich habe gelernt, wie ich es kontrollieren kann.

Prokrastination ist der Akt des Aufschiebens von Dingen ohne besonderen Grund.

Es ist das Sagen “Ich mache es später” oder “Ich mache es morgen” zu dem, was heute getan werden muss.

Und wenn es um Prokrastination geht, gibt es mehrere Gründe die dazu beitragen. Hier sind einige der wichtigsten:

  1. Das Fehlen eines “Warum” oder eines intrinsischen Motivators, warum du eine Aufgabe erledigen musst
  2. Angst (vor dem Versagen, vor der Beurteilung, vor dem Unbekannten)
  3. Kein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen
  4. Pflege von schädlichen Produktivitätsgewohnheiten und einer ablenkenden Umgebung
  5. Auf niedrigem Energieniveau arbeiten
  6. Suche nach Perfektion und warte auf “den perfekten Moment”, um zu beginnen
  7. Sich von den anstehenden Aufgaben überwältigt fühlen
  8. Untrainiert darin, sich zu fokussieren und in den Zustand des Flows zu gelangen

Ebenso gibt es eine Reihe von Strategien, die wir nutzen können um weniger zu prokrastinieren:

  1. Definiere klar, warum diese Aufgabe für dich wichtig ist, um die intrinsische Motivation zu steigern
  2. Leite die Angst in eine ebenso intensive, aber stärkende Emotion um
  3. Setze dir selbst auferlegte Fristen, um Dringlichkeit für die Aufgabe zu schaffen
  4. Gestalte deine Umgebung neu, um Ablenkungen zu reduzieren und deine Produktivität zu steigern
  5. Treibe täglich Sport, schlafe gut und ernähre dich gesund, um ein hohes Energieniveau zu erhalten
  6. Konzentriere dich auf Fortschritt und nicht auf Perfektion
  7. Priorisiere deine Arbeit und fange klein an, damit du dich nicht überforderst
  8. Trainiere dich selbst darin wie du deinen Fokus kultivieren kannst

All die oben genannten Strategien haben starke Auswirkungen — sie helfen uns weniger zu prokrastinieren und mehr zu erreichen.

Aber bevor wir darauf eingehen wie wir aufhören können zu prokrastinieren, glaube ich, dass es viel effektiver ist, zuerst zu erforschen warum wir prokrastinieren.

Du kannst alle Produktivitäts-Tipps und “Hacks” anwenden die es gibt, aber wenn du dich nicht mit der Frage beschäftigst warum du prokrastinierst, wirst du am Ende immer von dem Verhaltensmuster zurückgehalten, das zur Prokrastination führt.

Einverstanden?

In diesem Artikel möchte ich also tiefer in die Wissenschaft eindringen, die dahinter steckt warum wir prokrastinieren.

Sobald wir sie entschlüsselt haben, können wir herausfinden wie wir unser Gehirn neu verdrahten und unsere Verhaltensmuster ändern können.

Unsere Gehirnsysteme bei der Arbeit

Hinter Prokrastination steckt mehr als wir uns vielleicht vorstellen. Es ist nicht nur ein Spiel mit Disziplin und Willenskraft.

Prokrastination ist in unserer Biologie verwurzelt und wie die verschiedenen Teile unseres Gehirns zusammenarbeiten.

Wie sich herausstellt ist Prokrastination das Ergebnis eines ständigen Kampfes in unserem Gehirn, der zwischen zwei Systemen entbrannt ist: dem limbischen System und dem präfrontalen Kortex.

Ich bin kein Neurowissenschaftler, also möchte ich hier nicht zu sehr ins Detail gehen, denn ich möchte dich (oder mich) bei der Erklärung der Psychologie hinter Prokrastination nicht verlieren.

Einigen wir uns also darauf diese Erklärung einfach und direkt auf den Punkt zu bringen.

Im Grunde genommen ist:

  1. Das limbische System eines der ältesten und dominantesten Teile des Gehirns. Es befasst sich mit Emotionen und Gedächtnis und es reguliert und beeinflusst automatisches Verhalten, das als Reaktion auf emotionale Reize ausgelöst wird. Hier sitzt die Amygdala (mehr dazu unten).
  2. Der präfrontale Kortex ist neuer und weniger entwickelt. Er ist der Ort, an dem wir aktiv planen und bewusste Entscheidungen treffen.

Weil das limbische System viel stärker ist, gewinnt es oft den Kampf wenn wir mit einer neuen Aktivität konfrontiert werden. Die Automatisierung schlägt die bewusste Anstrengung, weil die Automatisierung nur auf eines ausgelegt ist: Überleben.

Dein Gehirn will dich in Sicherheit bringen. Deshalb sind wir daran gewöhnt, unangenehme Handlungen zu vermeiden. Wir wissen, dass wir uns hinsetzen und den Bericht schreiben sollten, aber da es Unbehagen erzeugt, vermeiden wir es. Du weißt, dass du mit der Arbeit an deiner neuen Idee beginnen solltest, aber da sie dich in neues, unbekanntes Territorium stößt und Gefühle der Angst hervorruft, vermeidest du sie.

Das liegt daran, dass die Amygdala unsere automatische emotionale Reaktion auf eine Situation reguliert.

Wann immer wir beginnen uns von einer bestimmten Situation überwältigt zu fühlen, wie z.B. der Notwendigkeit, eine alltägliche oder schwierige Aufgabe zu erledigen, löst unsere Amygdala eine Kampf- (Widerstand) oder Fluchtreaktion (Ignorieren) aus, weil unser Gehirn so verdrahtet ist, dass es die Situation als eine Bedrohung ansieht.

Das Ergebnis ist Prokrastination: Wir schieben auf morgen auf, was wir heute hätten tun können und sollen.

Wir tun das was sich jetzt gut anfühlt. Wir vermeiden Unbehagen und unangenehme Gefühle, so wie wir dafür geschaffen wurden.

Wie der Autor und Psychologe Dr. Timothy Pychyl erklärt:

“Wir haben ein Gehirn das darauf selektiert ist, sofortige Belohnung zu bevorzugen. Prokrastination ist das gegenwärtige Selbst, das sagt ich würde mich jetzt lieber gut fühlen. Also zögern wir das Engagement hinaus, obwohl es uns in den Hintern beißen wird.”

Wir tun das was sich jetzt gut anfühlt, weil das eine vorübergehende Erleichterung von Unbehagen bietet und uns gleichzeitig einen Dopamin-Hit beschert.

Das bringt uns zum zweiten Punkt.

Der Dopamin-Hit

Der Mensch ist süchtig nach Dopamin, dem Wohlfühl-Neurotransmitter der durch angenehme Erfahrungen produziert wird.

Dopamin ist der Grund warum Social Media Plattformen wie Instagram und Facebook so süchtig machen. Es ist der Grund warum Spieler — oder jeder — süchtig nach den Spielautomaten in Casinos werden können.

Unser Gehirn schüttet Dopamin immer dann aus, wenn wir Vergnügen oder Erwartungen haben: Beim Sex, beim Verlangen nach Essen, beim Kauf eines neuen Kleides, beim Stehen in der Warteschlange für ein Eis, wenn wir ein “Like” auf unseren sozialen Post bekommen. Es ist das was süchtiges Verhalten auslöst — und wir sehnen uns nach mehr davon.

Und der Dopamin-Sog ist einer der Hauptgründe warum wir prokrastinieren.

Unser limbisches System verleitet uns dazu Dinge zu tun, die uns ein gutes Gefühl geben, denn das ist der einfachste Weg um einen sofortigen Dopamin-Hit zu bekommen. Und da das limbische System so dominant ist, tappen wir automatisch in die wiederkehrende Falle das zu vermeiden, was getan werden muss, zugunsten von historischen Verhaltensweisen die uns sofort ein gutes Gefühl geben.

Wie wir unser Gehirn neu verdrahten und aufhören zu prokrastinieren

Jetzt wo wir verstehen wie unser Gehirn funktioniert und wie es uns automatisch in die Richtung von Handlungen zieht die den Dopaminspiegel sofort in die Höhe treiben, können wir eingreifen.

Und da es klar ist, dass die Wurzel der Prokrastination ein emotionales Problem ist und nicht ein Zeitmanagement-Problem, ist der einzige Weg sie zu besiegen durch Emotion — nicht durch Rationalität.

Erlaube mir das zu erklären.

In seiner jüngsten Forschungsstudie kam der Psychologe Dr. Timothy Pychyl zu dem Schluss, dass “je mehr Ziele wir haben, desto weniger prokrastinieren wir.”

Das bedeutet, dass egal welches Ziel oder welche Handlung wir anstreben, wenn wir die Gründe aufdecken können warum wir es tun wollen — anstatt das was wir tun wollen -, wir weniger wahrscheinlich prokrastinieren werden.

Das macht Sinn, denn die Realität des Lebens ist diese:

Wir treffen Entscheidungen die auf unseren Emotionen basieren. Es sind unsere Emotionen die unser Verhalten steuern.

Bedenke dies:

Wann hast du das letzte Mal einen Kauf getätigt, weil es logisch Sinn machte? Wann hast du das letzte Mal eine Werbung gesehen, in der alle technischen Merkmale eines Produkts aufgelistet waren?

Du kaufst Marken, weil du etwas für sie empfindest. Vermarkter verwenden Werbung mit Kindern, Welpen oder Humor, weil sie deine Gefühle ansprechen und eine emotionale Reaktion hervorrufen wollen.

Warum also, wenn wir Prokrastination bekämpfen wollen, gehen wir es von einem logischen Standpunkt aus an?

“Ich muss diese Arbeit schreiben. Ich muss mein Buch beenden. Ich muss für meine Prüfung lernen. Ich muss ins Fitnessstudio gehen.”

Ja, du musst all diese Dinge tun — und das solltest du auch. Aber weißt du auch warum? Und wenn du es weißt, ist es dir wirklich wichtig? Bist du dir der Konsequenzen bewusst wenn du sie nicht tust? Und sind diese Auswirkungen für dich wichtig?

All die oben genannten Beispiele sagen dir nicht warum du tun musst, was du tun musst. Sie machen alle rationalen Sinn. Aber Logik bewegt uns nicht — Emotionen schon.

Wenn wir lernen können unser Gehirn in einem bestimmten Moment auszutricksen, indem wir Emotionen nutzen, um uns zum Handeln anzutreiben anstatt uns davon abzustoßen, haben wir gewonnen.

Wir können die Angst zu unseren Gunsten nutzen. Wir können Angst nutzen, um uns zum Handeln zu bewegen anstatt uns davon abzustoßen.

Hier ist ein Beispiel:

  • Die traditionelle Gedankenkette: Ich muss heute eine Stunde Sport machen, aber ich bin faul. [Gehirn: Prokrastinieren].
  • Emotionale Gedankenkette: Ich muss heute eine Stunde Sport machen, aber ich bin faul. [Gehirn: Prokrastinieren]. [Du: Aber wenn ich nicht trainiere, dann wären das drei Tage in Folge ohne Bewegung. Und dann werde ich noch fauler! Und dann werde ich anfangen zuzunehmen. Und dann werde ich mich beschissen fühlen. Und dann werde ich wieder anfangen, Junk Food zu essen. Und dann werde ich mich noch mehr scheiße fühlen. Und dann muss ich noch härter trainieren, um wieder in Form zu kommen. Also gut — ich gehe ins Fitnessstudio.]

In beiden Fällen hast du dir die Zeit genommen, dir emotional zu erklären warum die Angst vor dem Vermeiden viel größer war als die Angst vor dem Unwohlsein und hast das als Motivation zum Handeln genutzt — was genau das Gegenteil von dem ist, was in unserem Kopf passiert.

Lies diese Zeile noch einmal.

Du hast deine Angst das Handeln zu vermeiden, viel größer gemacht als deine Angst es nicht durchzuziehen.

Und sobald wir die erste Aktion in Richtung Aufgabe machen, bekommen wir einen sofortigen Dopamin-Hit. Mache 5 weitere Liegestütze und du willst plötzlich 5 weitere machen.

Der Grund warum die traditionelle Gedankenkette so kurz ist, ist dass die Amygdala 1/32 einer Sekunde braucht, um in Aktion zu treten und uns in unserem Weg zu stoppen. Sie benutzt die Angst vor Unbehagen gegen uns.

Aber wenn wir lernen uns dessen bewusst zu sein und innezuhalten, um zu hinterfragen warum diese Aufgabe für uns wichtig ist und welche Auswirkungen es hat wenn wir sie nicht erledigen, nutzen wir die Angst vor der Vermeidung gegen unser limbisches System — wir schlagen es in seinem eigenen Spiel.

Und je mehr wir dies üben, desto schneller wird sich unser Gehirn neu verdrahten und mit der Zeit werden wir viel weniger prokrastinieren.

Wie können wir also unser Gehirn neu verdrahten und aufhören zu prokrastinieren?

In drei Schritten:

  1. Werde dir sehr klar darüber warum das Erreichen deines Ziels für dich wichtig ist und erkläre dir emotional wie du dich fühlen wirst:
  • Wenn du die Aktion nicht durchführst.
  • Wenn du es tust.

2. Mache eine kleine Aktion in Richtung deines Ziels, um einen Dopamin-Hit auszulösen.

3. Erzeuge einen Dominoeffekt: Wiederhole Schritt Nummer 2 so lange, bis die Aufgabe erledigt ist.

Schritt eins motiviert dich zum Handeln.

Schritt zwei setzt das Dopamin frei.

Schritt drei bestärkt dich darin, warum du weitermachen musst.

So überlistest du die Prokrastination und schlägst sie in ihrem eigenen Spiel. Achte nur darauf, dass du eine kleine Aktion machst:

Wenn du trainieren willst, beginne damit dein Fitnessstudio-Outfit anzuziehen. Wenn du ein Buch lesen willst, beginne mit einer Seite. Wenn du 15 Minuten lang meditieren willst, schließe deine Augen für 10 Sekunden. Wenn du das Haus aufräumen willst, beginne damit,deinen Schreibtisch zu wischen.

Eine kleine Aktion inspiriert zu mehr Aktion.

Warum es für dich wichtig ist

Wir alle kämpfen mit Prokrastination. Und wie bei vielen Dingen auf dieser Welt gibt es auch dafür keine magische Lösung.

Ich glaube, dass die Neugestaltung deiner Umgebung, um sie weniger ablenkend zu machen, die Kultivierung von mehr mentalem Fokus und die Schaffung eines effektiven Produktivitätssystems absolut essentiell sind, um Prokrastination zu besiegen.

Aber alles beginnt mit einer psychologischen Betrachtungsweise.

Jetzt da wir wissen, dass Prokrastination ein emotionales Problem ist — und wie man es herausfordert — können wir zu den praktischen Möglichkeiten übergehen wie wir produktiver werden und weniger prokrastinieren können.

Die werde ich später mit dir teilen…