Geduld ist eine Charakterstärke, die unsere Gesellschaft definitiv vernachlässigt hat”, sagt Sarah Schnitker, eine außerordentliche Professorin für Psychologie an der Baylor Universität. “Besonders in den letzten 20 Jahren, in denen sich unsere Technologie sehr schnell weiterentwickelt hat, glaube ich, dass sie unsere Erwartungen darüber wann und wie viel wir warten müssen, sowie unsere allgemeinen Vorstellungen über das Leiden verändert hat.”

Ein Großteil von Schnitkers Forschung hat sich auf Geduld konzentriert. Sie sagt, dass viele der großen Philosophen der Geschichte, von Aristoteles bis Thomas von Aquin, die Geduld als eine der edelsten Eigenschaften der Menschheit betrachteten. Auch die meisten der großen östlichen und westlichen Religionen — vom Judentum und Christentum bis zum Islam und Buddhismus — bezeichnen die Geduld als eine grundlegende Tugend, die bewundert und kultiviert werden soll.

“Die Geduld ist eine Charakterstärke, die unsere Gesellschaft definitiv vernachlässigt hat.”

Aber seit die Industrielle Revolution eine neue Ära der Geschwindigkeit, der Produktion und des Konsums eingeläutet hat, hat die Geduld ihren Reiz verloren, sagt Schnitker. “In unserer Kultur geht es nur noch um schnelle Gewinne und schnelle Problemlösungen”, fügt sie hinzu. “Wenn Du geduldig bist gibt es dieses Missverständnis, dass Du eine Art Fußabtreter bist — dass Geduld nicht etwas ist was wir uns als Gewinner vorstellen.”

Es gibt wirtschaftliche, politische und ökologische Gründe zu glauben, dass Verachtung für Geduld uns letztendlich teuer zu stehen kommen wird. Aber abgesehen von diesen Bedenken scheint Geduld auch wirklich wichtig zu sein, wenn es um geistige Gesundheit und Wohlbefinden geht, sagt Schnitker. “Sie wird positiv mit Lebenszufriedenheit, mit Hoffnung, mit Selbstwertgefühl und mit geregeltem Verhalten assoziiert und negativ mit Einsamkeit, Depression und Angst”, sagt sie.

Geduld kann den Druck lindern voranzukommen und etwas zu erreichen, den viele von uns so dringend empfinden. Geduld kann die oberflächlichen Befriedigungen ersetzen, die viele von uns jetzt von dem Zeug, das wir kaufen, sehen und anderweitig konsumieren, verlangen — und auf die wir oft angewiesen sind. “Ich denke, dass dieses Jahr — sowohl mit der Pandemie als auch mit der politischen Situation — uns gezeigt hat, dass wir mehr Geduld entwickeln müssen”, sagt Schnitker.

Glücklicherweise gibt es einige Beweis-gesicherte Wege, das zu tun.

Verstehen, wie Geduld aussieht

Es gibt drei Arten von Situationen die Geduld erfordern. Es gibt täglichen Ärger mit Geduld. Zu diesem Typ gehört das Anstehen in der Schlange im Laden, das Warten auf das Laden eines Webbrowsers und andere alltägliche Quellen der Verzögerung oder Frustration. Der nächste Typ bezeichnet die Situationen mit offenem Ende, wie das Leben mit einer Krankheit oder das Aushalten anderer Quellen anhaltender Besorgnis oder Unsicherheit ist. Schließlich gibt es die zwischenmenschliche Geduld, die eine Person benötigt wenn sie mit einem aufsässigen Kind, einem unausstehlichen Mitarbeiter oder einer anderen schwierigen Person zu tun hat.

Geduld ist von dem lateinischen Wort für Leiden abgeleitet. Und Menschen die Geduld besitzen, sind diejenigen, die in der Lage sind etwas Unangenehmes zu ertragen, ohne sich davon in ihren Emotionen oder ihrem Verhalten beeinflussen zu lassen.

Verbringe einige Zeit damit über diese Definition nachzudenken und Du beginnst zu erkennen wie zentral Geduld (oder Ihr Gegenteil) für Angst, Depression, Wut und andere negative emotionale Zustände sowie für zwanghaftes Verhalten ist. All diese Übel sind eng mit der Unfähigkeit verbunden, eine Person oder eine Situation zu tolerieren. Man könnte sogar sagen, dass die Fixierung des gegenwärtigen Moments auf das Glück — mehr davon zu finden und es dauerhaft zu machen — zum Teil von Ungeduld getrieben ist; wir wollen nicht lange auf unseren nächsten Moment der Freude oder des Vergnügens oder der Glückseligkeit warten müssen.

Warum sind wir heutzutage alle so ungeduldig? Viele Elemente des heutigen Lebens stellen Geschwindigkeit und Leichtigkeit über Geduld und Ausdauer. Was auch immer es ist was ein Mensch will — Essen, Unterhaltung, Informationen, Zeug, Sex, Geld, Erleuchtung — der schnellste Weg zu jedem wird uns trotz gegenteiliger Beweise ständig als der beste Weg angepriesen.

Eile und Dringlichkeit sind zum Beispiel mit Stress und Erregung verbunden. “Wenn wir alles beschleunigen — wenn wir dieses Gefühl des “Los, los, los” haben — das ist alles sympathische Nerventätigkeit”, sagt Peter Payne, ein Forscher am Dartmouth College, der die meditative Bewegung und die gesundheitlichen Vorteile von Praktiken wie Qigong und Tai-Chi studiert. Während die Aktivität des sympathischen Nervensystems in Maßen in Ordnung ist, wird die chronische Überaktivität dieses Systems mit Angst, Depressionen, Kopfschmerzen, schlechtem Schlaf und Krankheiten des Herzens, des Darms und des Immunsystems in Verbindung gebracht. Das ständige Hetzen scheint diese Art der Überaktivität und ihre vielen Nachteile zu fördern.

Ungeduld kann Menschen auch Erfahrungen rauben, die dem Leben einen Sinn geben. Forscher haben herausgefunden, dass Anstrengung ein wesentlicher Bestandteil von Zufriedenheit und anderen positiven Emotionen zu sein scheint. Viel Glück liegt im Tun, nicht im Haben.

Die Botschaft hier ist nicht, dass alles schnell oder einfach schlecht ist. Vielmehr ist es so, dass schnell und einfach nicht immer optimal sind. Wenn Menschen die Fähigkeit verlieren geduldig zu sein, verlieren sie vielleicht auch den Zugang zu den Dingen die das Leben am befriedigendsten und angenehmsten machen während sie gleichzeitig ihre Risiken für all die Gesundheitsprobleme, die mit Stress verbunden sind erhöhen.

Wie du Geduld kultiviert

Je mehr Menschen ihre Geduldsmuskeln trainieren, desto stärker werden diese Muskeln. Es gibt viele Möglichkeiten das Warten im Leben zu üben und dies zu tun, kann uns wirklich helfen unsere Geduld aufzubauen.

Wenn Du zum Beispiel auf eine Wartezeit stößt — sei es in der Schlange vor dem Laden oder im Verkehr — sind das gute Gelegenheiten um Geduld zu üben. Diese Zeit nicht zu nutzen, um zum Telefon zu greifen und unsere Sozial- oder News-Feeds zu checken kann wirklich helfen. Untersuchungen der Temple University haben ergeben, dass häufige Smartphone-Nutzung sowohl mit erhöhter Ungeduld als auch mit Impulsivität verbunden ist.

In Zeiten des Wartens oder der Frustration kann es hilfreich sein eine Technik zu praktizieren, die als kognitive Neubewertung oder “Reframing” bekannt ist, was im Grunde genommen bedeutet etwas als Chance und nicht als Hindernis zu betrachten. Wenn Du Dir also einredest, dass Geduld gut für meine geistige Gesundheit ist und ich sie entwickeln muss, dann kannst Du diese Wartezeiten, als großartige Gelegenheit betrachten Dir selbst zu helfen.

Reframing kann auch hilfreich sein, wenn man mit Leuten zu tun hat die einem auf die Nerven gehen oder in Situationen die langen Wartezeiten mit sich bringen. In zwischenmenschlichen Kontexten könnte das Reframing dazu führen, dass Du Deine Gedanken von “diese Person ist so nervig” zu “in der Nähe dieser Person zu sein, ist eine Gelegenheit für mich, meine Geduld zu üben” änderst. Es könnte auch bedeuten, dass Du Dich bemühst die Situation aus der Sicht einer anderen Person zu sehen.

Achtsamkeitstraining und ähnliche Meditationsformen können dabei hilfreich sein, weil sie Dein Bewusstsein für Deine eigenen Gedanken und Gefühle aufpumpen. Es ist dieses Bewusstsein, das es Dir ermöglicht, hilfreiche Anpassungen vorzunehmen — an Deinen Gewohnheiten und auch an Deinen Einschätzungen von Menschen und Situationen -, die Deine Geduld stärken werden.

Die Geduld wiederzuentdecken und neue Prioritäten zu setzen könnte ein Weg sein, um gegen so vieles anzugehen, was sich in der heutigen Welt falsch anfühlt.